Die Kraft der Berge verbindet
Hermann Kutschera, geboren 1930 in Nordböhmen, blickt auf ein bewegtes Leben zurück: Die Erfahrungen von Krieg, Vertreibung als Sudetendeutscher und Neubeginn in Österreich prägen ihn. Ein Jahr nach dem Tod seiner geliebten Frau Hermine, zog der Ebelsberger im November des vergangenen Jahres ins Caritas-Seniorenwohnhaus Karl Borromäus in Linz. Trotz des schweren Einschnitts in seinem Leben hat er hier neue Freuden gefunden - unter anderem in anregenden Gesprächen mit Caritas-Mitarbeiter Tarnde Nam Gyal Tsang. Der 34-Jährige ist in den Bergen Tibets als Nomade aufgewachsen und hat als Jugendlicher seine Großeltern betreut. Nach seiner Flucht aus Tibet wollte er weiterhin mit älteren Menschen arbeiten: „In Österreich habe ich intensiv Deutsch gelernt, um die Fach-Sozialbetreuerausbildung Altenarbeit zu machen.“ Seit 2019 arbeitet er im Caritas-Seniorenwohnhaus Karl Borromäus. „Herr Kutschera erinnert mich mit seinen Erlebnissen an meine eigene Kindheit in den Bergen. Wir haben uns sofort verstanden.“
Vorne: Caritas-Mitarbeiter Tarnde Nam Gyal Tsang und Hermann Kutschera mit (hinten) wei seiner drei Söhne Roland (l.) und Günter. © Caritas
Berge als Sinnbild für Durchhaltevermögen
Für beide sind die Berge nicht nur Natur, sondern Heimat und Sinnbild für Durchhaltevermögen. Hermann Kutschera freut sich über diesen Austausch: Nach der Vertreibung seiner Familie als Sudetendeutsche gelang ihm in Linz ein Neuanfang: Zunächst arbeitete er als Bäckerlehrling und -geselle, später wechselte er in die Stahlindustrie, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1987 als Facharbeiter tätig war.
Seine große Leidenschaft galt jedoch stets dem Alpenverein und dem Bergsport. Fast jede freie Minute verbrachte er in den Alpen. „Die Berge und die Kameraden haben mir Kraft gegeben, egal wie schwer das Leben manchmal war“, erzählt Kutschera: „Früher gestalteten sich schon die Anreisen zum Ausgangspunkt als kleine Abenteuer. Busse waren ob der vielen Reifenpatschen unzuverlässig. Häufig fuhr ich nach der Arbeit mit dem Zug nach Hinterstoder, vom Bahnhof folgte ein rund 15 Kilometer langer Fußmarsch bis zum Einstieg zum Prielschutzhaus. Nach der Übernachtung dort – häufig auf dem Boden oder den Bänken des Gastraums – wurde eine Kletter- oder Skitour gemacht." Der Rückweg erfolgte wiederum zu Fuß zum Bahnhof. Und auch in Linz musste er häufig zu Fuß nach Ebelsberg laufen, wo kurz nach dem Heimkommen bereits die nächste Arbeitsschicht begann.
Bei den Aktivitäten rund um den Alpenverein lernte Kutschera 1953 seine große Liebe kennen: seine spätere Frau Hermine. Gemeinsam unternahmen sie viele Kletter-, Ski- und Bergtouren. Nach der Geburt der drei Söhne Günter, Gerhard und Roland rückte die Familie in den Mittelpunkt, doch die Leidenschaft für die Natur blieb immer erhalten.
Lebensgeschichte in Buchform
In seinen insgesamt neun sorgfältig geführten Tourenbüchern dokumentierte Hermann Kutschera seine Erlebnisse – von geselligen Berg- und Skitouren, Skirennen und Reisen bis hin zu dramatischen Rettungseinsätzen. Diese Erinnerungen wurden Ende 2024 in seinem Buch „Eine Lebensgeschichte – spannend war es immer“ veröffentlicht.
„Es waren andere Zeiten. Wir hatten wenig Materielles, aber auf unsere Kameradschaft konnten wir uns immer verlassen“, sagt Hermann Kutschera rückblickend. Besonders bewegend für ihn: ein Unfall 1948, bei dem er gemeinsam mit einem Bergkameraden stundenlang eine Verletzte zur Hütte trug. Dort warteten allerdings schon weitere Verletzte auf den Abtransport. Seine Kameradin musste also zwei Tage lang ausharren, ehe sie von den Rettungsträgern ins Tal und von dort mit dem Bus ins Spital gebracht wurde.
Auch wenn Hermann Kutschera heute selbst nicht mehr auf die Gipfel steigen kann: Mit seinen Söhnen blättert er oft durch alte und neue Bergfotos und beobachtet mit wachem Blick die Veränderungen, die der Klimawandel in der alpinen Landschaft bewirkt. „Die Welt hat sich stark verändert“, sagt er nachdenklich, „Nicht nur wenn man die Gletscher heute anschaut, wird einem klar: Die Welt hat sich wirklich stark verändert.“