Papst: Vertreibung von Armeniern war Völkermord

Während eines Gottesdienstes mit Katholiken des armenischen Ritus im Petersdom am 12. April 2015 stellte er die Massaker und Todesmärsche, durch die nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben kamen, am Sonntag in eine Reihe mit der nationalsozialistischen Judenvernichtung und der durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin herbeigeführte Hungersnot in der Ukraine. Die Türkei erkennt das Vorgehen gegen die Armenier bis heute nicht als Völkermord an und wehrt sich gegen die Verwendung dieses Begriffs.
"Unsere Menschheit hat im vergangenen Jahrhundert drei große, unerhörte Tragödien erlebt: die erste, die allgemein als 'der erste Genozid des 20. Jahrhunderts" angesehen wird; diese hat euer armenisches Volk getroffen", sagte der Papst in seinem Grußwort an die armenischen Gäste. Unter ihnen waren der armenische Staatspräsident Sersch Sargsjan sowie die Oberhäupter der armenisch-apostolischen und der armenisch-katholischen Kirche, die Patriarchen Karekin II. und Nerses Bedros XIX.
Franziskus zitierte hierbei seinen Vorgänger Johannes Paul II. (1978-2005). Dieser hatte 2001 in einer gemeinsamen Erklärung mit Karekin II. bekundet: "Die Ermordung von anderthalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird." Weiter sagte Franziskus, die beiden anderen seien durch den Nationalsozialismus und den Stalininismus verübt worden. Er erinnerte auch an "Massenvernichtungen" in Kambodscha, Ruanda, Burundi und Bosnien. Auch heute erlebe die Menschheit jedoch "eine Art Genozid", so Franziskus weiter. Dieser werde durch die "allgemeine und kollektive Gleichgültigkeit verursacht".
Bereits drei Monate nach seinem Amtsantritt, Anfang Juni 2013, hat Franziskus die Vertreibung der Armenier in einem privaten Gespräch, das publik wurde, als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Daraufhin legte die Türkei offiziell Protest ein. Die Äußerung sei "absolut inakzeptabel". Der Papst äußerte sich damals gegenüber Nachfahren von Opfern der Vertreibung am Rande einer Privataudienz für Nerses Bedros XIX. im Vatikan. Schon als Erzbischof von Buenos Aires hatte der heutige Papst keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Vertreibung als Völkermord betrachtet.
Armenischen Mönch zum Kirchenlehrer erhoben
Papst Franziskus erhob am Sonntag den armenischen Mönch und Heiligen heiligen Gregor von Narek zum "Doktor der Universalkirche". Der Mystiker und Schriftsteller wurde 950 im armenischen Andzevatsik geboren und starb um 1005 in einem Kloster in Narek. Beide Orte liegen heute in der Türkei. Das Kloster und das Grab Nareks wurden in den Jahren 1915 und 1916 im Zuge der Massaker an den Armeniern zerstört.
Als Kirchenlehrer verehrt die katholische Kirche Heilige, die eine herausragende Bedeutung für die Glaubenslehre haben. Mit der Erhebung Nareks gibt es nun 36 Kirchenlehrer. Aus dem deutschen Sprachraum kommen Hildegard von Bingen (1098-1179), Albertus Magnus (um 1200-1280) sowie der Jesuit Petrus Canisius (1521-1597).
Die Zeremonie fand im Rahmen eines Gottesdiensts zum Gedenken an den Beginn des Völkermords an den Armeniern vor 100 Jahren statt. Von 1915 bis 1917 kamen im Osmanischen Reich nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Armenier durch Massaker und Todesmärsche ums Leben.
An dem Gottesdienst nahmen auch der armenische Staatspräsident Sersch Sargsjan teil sowie der Patriarch Karekin II., das Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche und Patriarch Nerses Bedros XIX., das Oberhaupt der Armenisch-katholischen Kirche.
Türkei bestellt Papstbotschafter ein
Nach der Aussage von Papst Franziskus zum Völkermord an den Armeniern hat die türkische Regierung am Sonntag den Vatikanbotschafter in Ankara ins Außenministerium einbestellt. Dort sollte dem Nuntius Erzbischof Antonio Lucibello der offizielle Protest der Türkei gegen die Äußerung zum Ausdruck gebracht werden, berichteten türkische Medien. Zugleich arbeite die Regierung in Ankara an einer schriftlichen Reaktion, die aller Voraussicht nach "scharf" ausfallen werde.
Papst Franziskus hatte die Armenier am Sonntagmorgen mit einem Zitat seines Vorvorgängers Johannes Paul II. (1978-2005) öffentlich als Opfer des "ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts" bezeichnet.
Vor kurzem hatte sich die türkische Regierung noch zuversichtlich gezeigt, einen Eklat zum Völkermord mit dem Vatikan vermeiden zu können. So meldete die Presse, die türkische Botschaft beim Heiligen Stuhl habe einen Gottesdienst des Papstes in Armenien zum 100. Jahrestag der Massaker verhindert. Am Sonntag nun feierte Franziskus einen Gottesdienst mit den Spitzen von Staat und Kirche Armeniens im Petersdom.
Am 24. April jährt sich der Beginn der Armenier-Massaker im damaligen Osmanischen Reich 1915. Die Türkei lehnt die Einstufung der Verbrechen als Völkermord ab und wirft Armenien vor, den Jahrestag für eine Kampagne zur internationalen Anerkennung des Genozids nutzen zu wollen.
Türkischer Außenminister: Papst schürt Hass und Feindschaft
Die Türkei hat Papst Franziskus vorgeworfen, mit seiner Äußerung zum Völkermord an den Armeniern Hass zu schüren. Die Erklärung des Papstes sei "weit von Geschichte und Recht entfernt" und nicht hinnehmbar, erklärte Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Sonntag via Twitter. "Religiöse Ämter sind nicht der Ort, mit haltlosen Vorwürfen Feindschaft und Hass zu schüren", fügte er hinzu.
Der Papst hatte in Rom erklärt, die Armeniern seien "Opfer des ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts" gewesen. Daraufhin wurde der Apostolische Nuntius in Ankara, Erzbischof Antonio Lucibello, ins Außenministerium einbestellt worden. Der türkische Staatssekretär Levent Murat Burhan sagte Lucibello laut Medienberichten, die Äußerung des Papstes habe die Türkei tief enttäuscht; sie sei fern der historischen Tatsachen und einseitig. So habe der Papst nur vom Leid der Armenier gesprochen, nicht aber vom Schicksal der Muslime oder der Angehörigen anderer Religionen.
Die Aussage des Papstes widerspreche zudem dessen Botschaften von Frieden, Verständigung und Dialog, die er bei seinem Türkei-Besuch im November überbracht habe, so Burhan den Berichten zufolge weiter. Die jüngsten Ereignisse hätten zu einem Vertrauensverlust in den Beziehungen geführt und zeitigten "sicherlich" noch Folgen.
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